Poesie ist akademisch!
Ich beachte ja selten (Na? Klar. Eigentlich nie!) diese Reklame-Anzeigen, die wie Lemminge auf der Todesflucht über alle Web-Seiten hupfen. Doch diese eine sprang mir – mit zeitlicher Verzögerung – dann doch über den Augenwinkel direkt ins Gehirn. Wo sie sich festsetzte. Weshalb ich schließlich etwas mürrisch (Das ist meine genuine Denkweise!) die entsprechende Seite aufrief und mit Erstaunen folgendes las:
"Poesie ist die Muttersprache des menschlichen Geschlechts"!
Behauptete Johann Georg Hamann (1730-1788), woran ja nichts auszusetzen wäre. Ich kann auch viel behaupten, deshalb muss es nicht notwendigerweise wahr sein. Und Herr Hamann, seines Zeichens studierter Theologe und Jurist (Das muss man sich mal vorstellen!) hatte nach einem offensichtlich äußerst fiesen Lebens-Zwischenfall ein christliches Erweckungs-Erlebnis.
Was es dann wohl erklärt.
Na gut. Er hätte nicht unbedingt den Wust tröstlicher Gedanken, die er daraufhin aus der Bibel schöpfte, seinem übervollem Herz entweichen lassen müssen. Fatalerweise auch noch in echt gruselig-verschwiemelt klingenden Lobpreisungen. Gerechterweise muss ich anfügen, dass Herr Hamann eben ein Kind seiner Zeit war. Mehr ist ihm in Punkto sprachlicher Entgleisungen nicht anzulasten. Ganz sicher aber hat er nie ein Vorurteil gegen nicht-akademische Poeten zum Ausdruck gebracht.
Die GWK (Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Kulturarbeit e.V.), die Herrn Hamanns Zitat nun als Themen-Vorlage einer Poesie-Ausschreibung hernimmt ist da strenger!
Inwiefern (wird da als vorgegebene Frage in den Raum gestellt) kann eine poetische Sprache Instrument und/oder Medium eines Denkens und Fühlens, einer Erkenntnis- und Erfahrungsform sein, die ohne sie weder möglich noch kommunizierbar wäre, und wie wäre eine genuin poetische Denkweise - auch im Unterschied zu anderen Formen ästhetischer Erfahrung - zu charakterisieren?
Hm?
Ja.
Inwiefern wohl?
Diese – ziemlich dämlich - formulierte Frage zu beantworten, ist selbstredend nicht jedermann gegeben. Wo kämen wir denn da hin. Logischerweise ist dazu nur ein ganz bestimmter Menschen-Schlag berufen. Drum mahnt die GWK ernst:
Teilnehmen können SchriftstellerInnen, WissenschaftlerInnen, PublizistInnen, Studierende, die literarisch, wissenschaftlich oder journalistisch publiziert haben.
Dumme Sache.
Herr Fontane, unstudierter Apotheker, wäre da schon mal ausgeschlossen. Aber immerhin dürfte Herr Heine teilnehmen. Der nach ein paar Anläufen (erstaunlicherweise auch Rechtswissenschaften) es am Ende doch noch zu einer Art Studienabschluss brachte.
Aber, ach! Oje. Herr Hesse. Der wäre ganz raus aus der Ausschreibung. Denn der arbeitete nach einem Aufenthalt in der Irrenanstalt (seine eigenen Worte) hilfsweise in einer Bücherei für hauptsächlich theologische und juristische Schriften. Ein Hiwi! Ipfui. Wie poetisch un-genuin!
Während Herr Lessing ebenfalls zuerst mal Theologie studierte. Allerdings keine Rechtswissenschaft. Muss man sich da nicht fragen, ob dem genuin was fehlte?
Was Herr von Goethe wiederum im Überfluss besaß. Denn der war Jurist. Genau wie Herr Schiller, der auf Geheiß seiner Familie ein Rechtsstudium beginnen musste. Was ihm zwar nicht so gefiel, aber immerhin. Ein gutes Beispiel ist auch Herr Brentano. Der hatte ebenfalls nach einem ziemlich befremdlichen Lebensweg (muss wieder die genuine Sache sein) ein Erweckungs-Erlebnis, das zu hoch erstaunlichem Gottesgebrabbel in Schriftform führte. Stramm anti-semitisch und bigott. Was ihn nicht dran hinderte, unbestritten wunderbare Poesie zu erschaffen. So ganz nebenbei.
Ich könnte jetzt noch endlos so weitermachen. Mit den größten Poeten aller Zeiten. Nur wozu? Allesamt waren entweder Juristen, Theologen oder anderweitig verkrachte Existenzen und führten ein weitgehend chaotisches ... ah... Leben. Die meisten neigten darüber hinaus (außer Herrn von Goethe, der eher andere Interessen sehr inniglich pflegte) ständig zum Selbstmord oder anderen zerstörerischen Gedankengängen.
Ist das also das Resultat einer genuin poetischen Denkweise? Womöglich ist Ihnen der Ausdruck nicht so geläufig? Na denn, hier ist eine angeborene poetische Denkweise gemeint. Sozusagen ein Poesie-Gen, das sich dann im späteren Leben in der Sprache niederschlägt, was wiederum das Instrument und/oder Medium eines Denkens und Fühlens, einer Erkenntnis- und Erfahrungsform sein soll (?), die zu einer total abweichenden Betrachtung der Welt (des stinknormalen Homo Sapiens) führen MUSS!
Oder könnte?
Was zu beweisen wäre.
Natürlich nur von SchriftstellerInnen, WissenschaftlerInnen, PublizistInnen!
-Innen!
Aber sicher doch.
Die genuine Denkweise solcherlei schleimender Muckerlinge – würde Herr Mann (H.) sagen, ist die des typischen Untertanen. Oder – wie man heute so schön formuliert: Brav mitten im politisch korrekten Mainstream paddelnder Zeitgeistlinge.
Da können wir alle, die gelegentlich ein bisschen Poesie im Leben lieben, ja wirklich froh sein, wenn dergleichen unter sich bleibt. Und sich gegenseitig ihre genuinen Denkweisen und den daraus resultierenden Wort-Salat um die akadmischen Ohren haut.
Mein Lieblings-Poet ist übrigens Rilke.
Über den vieles zu sagen wäre. Dass er Rechtswissenschaft studierte, völlig chaotisch lebte und ziemlich einen an der Klatsche hatte. Was er mit seinem späten Lobgesang auf Mussolini bewies, dem er begeistert bescheinigte, eine (vorübergehende), auch brutale Gewalt dem einfachen Volk gegenüber sei gar nicht so übel, wenn dann später Ordnung herrsche. War wohl ein Ausdruck seiner genuinen Denkweise, die ihm zeitlebens ein Leben in totaler Un-Ordnung bescherte.
Fassen wir also abschließend zusammen: Betrachtet man die Lebens-Läufe der größten Poeten aller Zeiten genauer, hatten die tatsächlich alle eins gemeinsam. So rein genuin betrachtet.
Das Sockenschuss-Gen!
Das allerdings den VerfasserInnen dieser Ausschreibung völlig abgeht.
Ja, ok. Übertitelt ist das Ganze mit:
"Ohne Wort, keine Vernunft – keine Welt"
Aber das zu – ja was eigentlich? – zu durchleuchten (?), zergliedern (?) geht nun wirklich zu weit. Denn das ist erstens völlig sinnloses Gelaber und zweitens läuft die Poesie-Ausschreibung eben nicht unter diesem, ebenfalls Hamannschen Zitat.
Ohne Wort, keine Vernunft – keine Welt?
Grundgütiger!
Selbst im übertragen, vergeistigten Sinne ist das religiös verschwurbelter Bullshit. Der angesichts der (durchs vernünftige Wort erschaffenen) Realität heutzutage nichts mehr weiter ist als erbärmliche Selbstüberschätzung gepaart mit Dünkel und bodenloser Dummheit. Na gut. Herr Hamann wusste es nicht besser. Die Leute von der GWK wohl.
Da fällt mir ein, zählt ‚Armleuchter’ auch? Als DAS WORT? Entsteht jetzt, wo ichs gesagt habe eine neue Welt? Mit nix als Vernunft?
Donnerwetter.
NoXxLynXx - 7. Jun, 19:19